Ringvorlesung "Response-ability II"

© Tom Schreiber

Am 8. und 9. Juli 2021 wurde die Ringvorlesung Response-ability fortgesetzt, eine Veranstaltung des Studiengangs Kommunikationsdesign in Kooperation mit IMPACT RheinMain. Diese Reihe von Vorträgen behandelte Fragen nach der Antwortfähigkeit - wie persönliches und berufliches Engagement zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen kann und wie sozialer, künstlerischer und politischer Aktivismus funktioniert. Die Ringvorlesung bestand aus fünf Vorträgen an zwei Tagen, kuratiert und moderiert von Prof. Tom Schreiber und Prof. Dr. Theo Steiner. Nach den Vorträgen erfolgte jeweils eine vertiefende virtuelle Diskussion mit einer Fokusgruppe von Studierenden; die übrigen Teilnehmenden, auch viele interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Hochschulangehörige begleiteten die Diskussionen über den Chat. Dieser wurde von den insgesamt mehr als 100 Teilnehmenden angeregt genutzt.

Persönliche Verantwortung der Autorin

KATHRIN RÖGGLA, Autorin, Regisseurin und Vizepräsidentin der Akademie der Künste Berlin, untersuchte in ihrem Vortrag unter dem Titel "Die offenen Fragen" vor allem die Situation der persönlichen Verantwortung der Autorin selbst, die sich in ihren Arbeiten kritisch mit Konflikten der Gegenwart beschäftigt. Da sie mit Sprachmaterial aus der Gesellschaft arbeitet, mit Gesprächsfetzen, welche sie selbst recherchiert und aufgezeichnet hat, ist sie jeweils persönlich in die thematisierten Konflikte involviert: Egal, ob es um die Arbeit von NGOs in ehemaligen Sowjetrepubliken oder um jene von Simultandolmetscherinnen und Simultandolmetscher geht, um Sprachmaterial aus dem Konflikt um den Flughafenausbau in Frankfurt oder um Wortmeldungen von Juristinnen und Juristen im NSU Prozess. Frau Röggla will durch ihre Literatur die dahinterliegende Rhetorik verstehbar machen, auch das zugrunde liegende Herrschaftswissen kritisieren und dabei gleichzeitig gegenüber den Wortspenderinnen und Wortspendern Verantwortung beweisen.

Zusammenhang zwischen Umweltaktivismus und sozialer Gerechtigkeit

CAROLA RACKETE, Kapitän und Umweltaktivistin, fokussierte in ihrem Vortrag die Querbezüge zwischen den Bereichen Umwelt-Aktivismus und soziale Gerechtigkeit. In der Auseinandersetzung mit der Polarforschung habe sie gelernt, dass wissenschaftliche Fakten alleine nicht genügen, um die Entwicklungen zum Besseren zu wenden; es brauche auch eine politische und soziale Analyse. An zahlreichen Beispielen zum Klimawandel, aber auch zu Migrationsbewegungen belegte Frau Rackete, wie der globale Süden unfair ausgegrenzt und ausgebeutet wird. In ihrem persönlichen Engagement gehe es darum, unser Bewusstsein für die Verhältnisse und Bedingungen zu schärfen. Dafür gebe es zahlreiche Taktiken des zivilen Ungehorsams und gewaltfreien Widerstands – und man müsse diese beständig kreativ weiterentwickeln. Die engagierten Menschen tauschten sich diesbezüglich bereits weltweit und grenzüberschreitend aus (Stichwort: Skillshares) und man könne viel von Menschen lernen, die es geschafft haben, sich trotz struktureller Benachteiligung zivilgesellschaftlich zu engagieren.

Aktivistisches Popcornkino und kollektive Selbstermächtigung

PAULINA LORENZ, Drehbuchautorin und Produzentin Filmkollektiv Jünglinge gab Einblicke in "Aktivistisches Popcornkino und kollektive Selbstermächtigung - Über die Entstehung von Futur Drei". Paulina Lorenz ist eine junge deutsche Filmemacherin, die mit anderen ehemaligen Studierenden der Kulturwissenschaft das Kollektiv Jünglinge gegründet hat. Pop ist für sie eine ästhetische Strategie, um Sehnsuchtsorte und Utopien hervorzurufen; dies erkläre auch den Titel des Films – eine unmögliche, (noch) nicht existierende Zukunftsform. Ihr Film sollte einerseits unterhaltend und zugänglich sein und, indem er das Leben queerer Personen wie den Mainstream darstellt, gleichzeitig auch ein repräsentationspolitisches Statement abgeben. Das Kollektiv Jünglinge vertritt eine filmische Position, die eine Übernahme von Verantwortung explizit einbezieht: Futur Drei stehe für einen queer-feministisch und post-migrantischen Ansatz, der durch narrative Strategien umgesetzt wird. Frau Lorenz erläuterte, wie musikvideoartige Inszenierungen und dokumentarisches VHS-Material durch Montage verknüpft werden bzw. auch zur Verfremdung eingesetzt werden. Ein zentraler Teil ihres Wirkens ist die Art der Zusammenarbeit im Kollektiv. Das Publikum soll Zeugenschaft übernehmen, Verantwortung spüren und Antwortfähigkeit entwickeln können.

Verflechtungen von Einzelschicksal und Weltpolitik

KITTY KAHANE, eine bekannte Illustratorin, berichtete von ihrer Arbeit an "Antonios verlorener Traum", eine Graphic Novel über das Schicksal eines angolanischen Vertragsarbeiters in der DDR, der Opfer rechter Gewalt wurde. Sie möchte Antonio nicht nur als Opfer, sondern auch Held darstellen sowie die Verflechtungen von Einzelschicksal und Weltpolitik aufzeigen. Die Novel soll die Leserinnen und Leser bzw. Betrachterinnen und Betrachter nicht erzieherisch‚ sondern mit Leichtigkeit erreichen. Bei ihrer Arbeit lässt sie sich insbesondere durch amerikanische Spielfilme und Serien, aber auch animierte Filme inspirieren, in die sie durch Videoausschnitte auch Einblicke gab. Ihre Arbeit an dieser Graphic Novel ist durch Farbigkeit, Lockerheit, kalte Farben und einen flächigen Arbeitsstil charakterisiert. Sie erläuterte den Studierenden ihre Arbeit bis hin zur Überarbeitung des Anfangs durch eine Weiterentwicklung im gestalterischen Prozess. Ihre Arbeit an diesem politischen Projekt wird auch durch ihre eigene ostdeutsche Biografie motiviert und geprägt. Ergänzt wurde der Vortrag von Kitty Kahane durch SIMONE RAFAEL (Amadeu Antonio Stiftung, Leiterin des Bereichs AAS Digital - Digitale Zivilgesellschaft und Demokratie). Diese Stiftung, gegründet 1998, wurde nach dem Protagonisten der angesprochenen Graphic Novel benannt, einem der ersten Opfer rechter Gewalt nach der Wende. Die Stiftung dient dem Ziel, die Demokratie vor Ort zu stärken und damit dann auch Themenfelder von Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus sowie Antifeminismus zu bearbeiten, da diese eng miteinander verknüpft sind.

Von der Reparatur der Zukunft

ELKE KRASNY, Kuratorin und Stadtforscherin zeigte zum Thema "In Sorge Bleiben: Von der Reparatur der Zukunft", wie die Architektur einen Beitrag leisten kann, "wie wir uns auf diesem Planeten einrichten und dies nicht zu allergrößten Ungerechtigkeiten führt“. Ihrer Ansicht nach seien viele Subjekte mehr durch Freiheitsvorstellungen als durch Verantwortung geprägt. Die Geschichte der Architektur sei aber auch eine Geschichte der Interdependenzen von Ökonomie und Arbeit. Und deshalb sollte diese Disziplin als Praxis des Sorgetragens entwickelt werden. Elke Krasny illustrierte vor diesem Hintergrund verschiedene Lösungsansätze anhand von Beispielen aus ihrem Buch und ihrer Ausstellung "Critical Care", u. a. einem community land trust in einem informellen Stadtteil in Puerto Rico, wo durch also ein neues Gesetz das ständige Problem der steigenden Bodenpreise abgewandt werden konnte. In ihrem weiteren Vortrag stellt Frau Prof. Krasny auch noch andere Projekte vor: Etwa die Cité du Grand Parc (Bordeaux), wo vorhandene Wohnbauten durch ergänzende Wintergärten aufgewertet und pandemietauglich gemacht worden sind. Die Haltung des Sorgetragens manifestierte sich auch bei Bauten in Gebieten mit regelmäßiger Überflutung in Bangladesch, gemeinschaftsorientierten Bauten in Sao Paolo oder bei einem Critical Care Konzept für zirkuläres Wirtschaften und Textil-Upcycling in Pakistan (This Is Not A Shirt).