DIALOG IM MUSEUM #10

Impressionen von der Veranstaltung © IMPACT RheinMain

Impressionen von der Veranstaltung © IMPACT RheinMain

Impressionen von der Veranstaltung © IMPACT RheinMain

Am Flughafen Frankfurt wird seit ein paar Tagen der komfortable Check-in per Gesichtserkennung ermöglicht, und im ostasiatischen Raum ist die Bezahlung per Gesichtserkennung so bequem, dass sich viele keine Gedanken um die Kehrseite der Medaille des Einsatzes dieser Technologie machen würden – etwa die Verfolgung einer Person über Videokameras oder ihre Identifikation in der Menschenmenge einer Demonstration durch Strafverfolgungsbehörden. In jedem Fall, so hält Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in seiner Begrüßung fest, werden wir um den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien in Zukunft nicht herumkommen. Grund genug für die IMPACT RheinMain-Veranstaltungsreihe DIALOG IM MUSEUM sich in ihrer Jubiläumsausgabe Nummer 10 mit den Chancen und Risiken der Gesichtserkennung in Europa zu beschäftigen.

Die Vermessung des Lebens

Florian Kirchbuchner, Leiter der Abteilung Smart Living & Biometric Technologies am Fraunhofer Institut für graphische Datenverarbeitung, gab den Auftakt zur Veranstaltung und ordnete die Methodik der Gesichtserkennung in die Geschichte der Biometrie. Dieser Begriff beschreibt die Vermessung von Körpermerkmalen zu medizinischen Zwecken oder aber zur Identifikation und Verifikation der Identität. Heute erlaubt die fortschreitende Entwicklung von 2D- und 3D-Verfahren zur Gesichtserkennung eine Automatisierung solcher Prozesse, deren Wert laut Kirchbuchner darin liege, dass die Merkmale, auf die in der Biometrie zurückgegriffen wird, unveräußerlich, lange Zeit gültig und von hoher Fälschungssicherheit seien. Umso wichtiger sei ein effektiver Datenschutz zur Erhebung und Verarbeitung der so erfassten Daten.

Ricky Wichum, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technikgeschichte der ETH Zürich, warf einen Blick aus soziologischer Perspektive auf das Thema. In Wichums Augen haben die biometrischen Identifikationsverfahren, wie sie im ausgehenden 19. Jahrhundert zur Anwendung kamen, ein fundamentales Ordnungsproblem der modernen Massengesellschaft gelöst, in der sich Individuen räumlich frei bewegen können. Für die Verwaltung und Funktion des Nationalstaats sei es unerlässlich zu wissen, wer seine Bürger und Bürgerinnen sind und ob sie sind, wer sie vorgeben zu sein. Problematisch sei daran nicht nur die vermeintliche Objektivität der Bestimmung von Individuen, die rein auf äußerlichen Faktoren fußt und keinerlei Selbstbestimmung zulässt – in der Praxis wurde sie lediglich auf bestimmte Gruppen angewendet, etwa kolonialisierte Bevölkerungen oder Straftäter. Zuletzt schlägt Wichum einen Bogen ins Web 2.0, in dem das Porträtbild als eindeutige Verkörperung der vielfältigen Repräsentationen des Individuums Hochkonjunktur hat.

Andrea Knauts Vortrag hob auf die Bestrebungen von Aktivistinnen und Aktivisten wie der Initiative „Reclaim Your Face“ zu einem europaweiten Verbot biometrischer Identifikationsverfahren ab. Die Leiterin der Fachgruppe „Internet und Gesellschaft“ in der Gesellschaft für Informatik (GI) hält die Deckelung der Anwendung der Technologie durch öffentliche Behörden durch die DSGVO kaum für zielführend, aufgrund der mangelnden Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung durch EU-Behörden, die meist erst nach Klagen durch Bürgerinitiativen korrigiert würden. Mit dem Smartphone in der Tasche verschwimme zudem die Trennung zwischen staatlicher und privater Anwendung der Technologie, da jeder Bürgerin und jedem Bürger die nötige Technik zu massenhafter Gesichtserkennung bereits an die Hand gegeben sei und plädierte daher für ein Verbot derselben.

Sinn und Unsinn biometrischer Gesichtserkennung

In der Diskussion, moderiert von Sandra Speer, Projektkoordinatorin im Projekt IMPACT RheinMain, steht immer wieder die Notwendigkeit der immer weiter verbreiteten Technologie in unterschiedlichen Anwendungskontexten infrage. So ist Kirchbuchner bei der Frage nach dem Einsatz von Gesichtserkennung im Bildungswesen, wo sie das Potenzial zeigt, Motivations- oder Verständnisschwierigkeiten bei Schülerinnen und Schülern zu bemerken, sicher, dass es in diesen Fällen Alternativen zur automatisierten Erkennung gibt. Auch Wichum bleibt ihrem Einsatz trotz technologischer Verfeinerung und datenrechtlicher Absicherung skeptisch gegenüber, wenn es etwa um die Sicherheit an Schulen geht.

Anders sieht es bei der Personenerkennung in der Umgebung von Autos aus. Diese funktioniert mit Gesichtserkennung bisher am effektivsten. Problematisch dabei ist, wie Knaut betont, dass hier der kommerzielle, nicht-staatliche Einsatz der Gesichtserkennung in den öffentlichen Raum eindringt und die Persönlichkeitsrechte der registrierten Personen angreift, die keine Möglichkeit haben, der Erfassung ihrer biometrischen Daten zuzustimmen oder sie abzulehnen. Für Wichum ergibt sich daraus ein wachsendes Maß an Wahlmöglichkeiten, die vermehrt dazu zwingen abzuwägen, welche Vorteile zum Preis welcher Risiken in Anspruch genommen werden. Einer solchen Überforderung könne, so Knaut, ein staatliches Verbot der Technologie Abhilfe schaffen.

Abschließend stellt Wichum fest, dass im Verfahren der Identifikation schon zu viele kulturelle Annahmen eingeschrieben seien, als dass die Technik jemals objektiv sein könne. Gerade in ihrer Perfektionierung und der Minimierung ihrer Fehlerquoten sieht er die Gefahr der Technologie und tendiert zu Knauts Plädoyer für ein Verbot. Knaut drängt auf die Fortführung der Diskussion und unterstreicht ihre Unterstützung von Kampagnen zum Verbot der Massenüberwachung. Kirchbuchner sieht Letztere ebenfalls kritisch und mahnt, sich nicht blind auf die Systeme zu verlassen, die nur unterstützend sinnvoll seien.